Samstag, 30. Mai 2009

Der böse Terrorist

Wer zupft mich da am Ärmel und redet bulgarisch auf mich ein? Schau an, ein Polizist. Aber irgendwie kein normaler. Seine Uniform trägt die Aufschrift "Security Police".
Nun, seinen unfreundlichen Gesten entnehme ich, daß er mich auf einen kurzen Spaziergang einladen möchte. Obwohl ich es eilig habe, nehme ich als höflicher Mensch seine Einladung an und begleite ihn bis zu seiner Arbeitsstelle. Der amerikanischen Botschaft in Sofia, wo uns freundlicherweise schon zwei seiner Kollegen entgegenkommen.
Jetzt wäre ich gern gegangen, da ich die Botschaft, genauer gesagt deren Vorplatz, kurz vorher schon gesehen hatte. Eine Art Tempel des Imperators, eine Mischung aus Albert Speerschem Neoklassizismus und für die Ewigkeit geschaffenen Pyramidenbauten der alten Ägypter. Natürlich inclusive überdimensionaler US-Flagge - schließlich soll ja Jeder wissen, wer diese großartigen, ehrfurchtgebietenden Monumente geschaffen hat.
Als großer Bewunderer spätimperialistischer Architektur wollte ich diesen Eindruck auch Allen zugänglich machen, die leider als ALG-2-Empfänger aus Kosten- und anderen Gründen nicht mal eben zur US-Botschaft in Sofia spazieren können. Also wollte ich, um deren Kulturlücke zu schließen, den überwältigenden Eindruck photographisch festhalten. Allerdings sah ich durch den Sucher dann die Schilder mit der durchgestrichenen Kamera. Als folgsamer und gesetzestreuer Bürger habe ich natürlich vor Verbotsschildern den größten Respekt. Ich betätigte also den Auslöser nicht, sondern steckte die Kamera wieder ein.
Genauso hatten es die uniformierten Diener des Imperiums auch gesehen. Bis auf das winzige Detail, daß ich den Auslöser nicht betätigt hatte. Das machte mich in ihren Augen binnen Sekunden vom braven devisenträchtigen Touristen zur hochgradig terrorverdächtigen Gefahrenquelle für die ganze freiheitlich-demokratische Welt.
In äußerst gebrochenem Englisch konnte sich wenigstens einer der drei Wächter der amerikanischen Kultur mit mir verständigen und machte mir mein Problem klar - und ich versuchte umgekehrt, ihn davon zu überzeugen, daß es kein Problem gibt. Wobei er in seiner Meinung, es gäbe eins, durch die Tatsache bestätigt wurde, daß ich außer meiner Krankenversicherungskarte keinerlei Papiere bei mir hatte. Außerstande, mich wenigstens die paarhundert Meter bis zu der Wohnung eskortieren zu lassen, wo zumindest erst mal meine Papiere liegen, wurde nun der Dienstweg beschritten und der Vorgesetzte eingeschaltet.
Der Dicke fuhr nach einer Viertelstunde vor -und dann wurde Alles nochmal von vorn nach hinten und umgekehrt durchgekaut. Offensichtlich wurde dabei auch diskutiert, ob ich schon durchsucht wurde und nach den Gesten zu urteilen entschieden, daß Keiner weiß, ob er das darf. Wenigstens hatte der Dicke die Kompetenz, mich zunächst an der Wohnung vorbeibringen zu lassen, um bei der Abholung der Papiere noch rasch meine Freundin Michaela und ihre Mutter zu erschrecken und mich dann zum Polizeirevier zu verschleppen.
Dort versuchte die ganze diensthabende Mannschaft - in noch schlechterem Englisch als dem des Sicherheitspolizisten vor der Botschaft und etwas besserem Deutsch - mich davon zu überzeugen, daß kein Problem bestünde und ich mir keine Sorgen machen müsse. Die freundlich winkenden Insassen einer Zelle neben der Eingangshalle des Reviers (was immer die damit meinten) relativierten diesen Eindruck.
Während die Polizisten immer freundlicher wurden, überdachte ich, was sie wohl bei einer Leibesvisitation, der Durchsuchung meiner Tasche und der Entwicklung des Films in der Kamera finden würden. 1. Eine Flasche Rotwein für meine Eltern (aber damit hört die Rotkäppchen- Romantik auch auf). 2. Ein sehr robustes Federmesser, welches ich bei mir trug, um mich gegebenenfalls gegen die streunenden Hunde in Sofia zu verteidigen. 3. Die neueste Ausgabe der "Nova Zora", das heißt "Neues Morgenrot", einer Zeitung, die ich zu dem Zeitpunkt noch als kommunistisch vermutete, die aber eine Zeitung bulgarischer Nazis ist. Und 4. in der Kamera Photos eines Hotels, einer Tankstelle, eines Vergnügungsparks, zweier Einkaufszentren und einer Apotheke - also alles Andere als normale Touristenfotos, die ich aufnahm, um die imperialistische Übernahme Bulgariens zu dokumentieren. Allerdings zeigten diese Photos damit natürlich auch terroristische Angriffsziele, wenn man sie aus dem Blickwinkel des Terrorwahns betrachtet. Also des Wahns, der zu meiner Verhaftung führte.
Nach etwa einer Stunde, in der mich inzwischen einer der Polizisten in Zivil zu meinem ersten richtig guten Kaffee in die Polizeikantine einlud, traf dann ein Beamter des Staatsschutzes mit einer Dolmetscherin ein. Die fragten mich dann, ob es sich um ein Mißverständnis gehandelt habe.
Wahrheitsgemäß sagte ich, daß das durchaus kein Mißverständnis war, sondern daß ich verhaftet wurde, weil ich die US-Botschaft photographieren wollte, dies aber nicht tat, daß ich keine Ausweispapiere bei mir hatte und sie gern den Film entwickeln lassen können, um zu sehen, daß ich die Botschaft nicht photographierte. Dann stellten sie noch ein paar scheinbar belanglose Fangfragen, die ich ebenso wahrheitsgemäß beantwortete.
So wurde ich äußerst freundlich wieder freigelassen, einige Polizisten nickten und winkten mir zu wie einem guten alten Bekannten, die Staatsschützer boten mir an, mich zur nächsten Haltestelle zu fahren - was ich dankend ablehnte. Aufgrund meines einigermaßen guten Orientierungssinns fand ich die Wohnung rechtzeitig wieder, um einen Treff mit Michaelas Bekannten einzuhalten.
Ende gut - Alles gut? Mitnichten. In der "Nova Zora", die ich bei mir trug, rechtfertigen bulgarische Nazis den Faschismus. Auf bulgarischen Trödelmärkten kann man von faschistischem Wehrmachtsspielzeug bis zum Hitlerbild Alles kaufen, was das Naziherz begehrt. Gegen Sofia ist Dresden eine werbungsfreie Stadt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) kontrolliert die bulgarischen Löhne. Und über dieser Stadt thront der US-Tempel, den man bewundern, aber nicht photographieren darf.
Wenn Dich im Imperialismus Jemand am Ärmel zupft, der eine Uniform trägt, kann das gutgehen.
Muß aber nicht. Denn wie auch immer er "persönlich" denkt - er ist ein bezahlter Lakai des Kapitals.