Freitag, 29. Mai 2009

Dienst am Menschen oder Dienst am Profit?

Ein offener Brief an meine ärztlichen Kollegen

Liebe Kollegen,

die Proteste der niedergelassenen Ärzte gegen die zunehmende Benachteiligung wie auch Leistungsbeschränkung zeigen, daß zumindest Einige erkannt haben, daß hier etwas gar nicht gut läuft und gar nicht in Ordnung ist. Aber Viele haben noch nicht erkannt, WARUM es so läuft und nicht anders laufen kann. Warum z.B. diese Entwicklung in allen "zivilisierten westlichen Ländern" beobachtet werden kann - während in Cuba trotz erheblicher wirtschaftlicher Probleme der gegenläufige Prozeß vonstatten geht: die Gesundheitsversorgung ist und bleibt für Alle unentgeltlich, die Ärztedichte pro Einwohner ist doppelt so hoch wie in der BRD.

Nun kann man alle möglichen komplizierten Konstrukte zur Erklärung anführen - aber es geht auch einfach. Man nennt das Kapitalismus. Die Gesellschaft ist nicht an den Bedürfnissen der Menschen, sondern am Profit ausgerichtet. Was natürlich zur Folge hat, daß das Gesundheitswesen zum Profitwesen verkommt - weshalb ich z.B. auch der ärztlichen Tätigkeit den Rücken gekehrt habe, denn ich habe diese Berufswahl im Sozialismus getroffen und nicht in dieser asozialen Gesellschaft der BRD.

Die Tendenz geht hin zu einer medizinischen Unterversorgung der unteren sozialen Schichten – was NATÜRLICH dann auch die Ärzte trifft, deren Patienten das sind. Wozu soll man auch für diese Bremsen des Maximalprofits Geld ausgeben? Bei 8 Millionen Arbeitslosen steht eine ausreichende Reservearmee bereit, jeden Kranken mehrfach zu ersetzen. Für die Unentbehrlichen reicht das "Gesundheits"system allemal noch.

So froh ich über das Erwachen einiger Kollegen bin, so sicher bin ich auch (auch aus persönlichen Kontakten mit Kollegen), daß die Proteste hauptsächlich deshalb einsetzen, weil das Stück der Ärzte vom Profitkuchen zu klein geworden ist und doch bitte bitte wieder größer werden soll. Sie versuchen, die braunen Blätter an einem faulen Baum grün zu pinseln - was aber aufgrund der gesetzmäßig weiter fortschreitenden Krise des Kapitalismus gar nicht funktionieren KANN.

Im Fach "Sozialhygiene" hat uns unser Professor einmal erzählt: Sozialismus ist die beste Krankheitsprophylaxe. Damals haben wir gelacht - das klang ja nun wirklich nach überzogener Parteipropaganda. Inzwischen ist Vielen das Lachen vergangen.

Liebe Kollegen, überlegt bitte selbst, wie man Krankheiten angeht. Klebt man auf ein blutendes Ulcus, dessen Grundlage ein maligner Tumor ist, etwa ein Pflaster? Erkennt bitte selbst, mit wem Ihr gemeinsame Interessen teilt und auf welchem Wege diese Interessen verwirklicht werden können. Erkennt, auf welche Seite Ihr gehört.

Torsten Reichelt