Samstag, 30. Mai 2009

Du bist nicht Deutschland

Ein besonders eindrucksvolles Zeugnis gezielter Verblödung und Verhetzung läuft derzeit in den Medien der BRD. "Du bist Deutschland".
Schon der Beschreibungstext der Internetseite http://www.du-bist-deutschland.de/ verheißt wenig Gutes: "Überparteiliche und unpolitische Mutmacher-Kampagne, die von führenden Medienunternehmen initiiert wurde." Gut: überparteilich ist zweifellos richtig, wenn man die Initiatoren betrachtet: führende Medienunternehmen. Das ist nicht ganz exakt und müßte "führende Medienunternehmer" heißen, also Großkapitalisten. Und daß die und ihre Interessen über den Parteien, ihrem Lakaienvolk im bürgerlich-scheindemokratischen parlamentarischen Kasperletheater stehen, ist hinlänglich bekannt. Nur den fetten Bären "unpolitisch" können die Initiatoren bestenfalls einem Dreijährigen aufbinden. Seit wann geben Kapitalisten Geld für etwas aus, was nicht der Politik im Profitinteresse dient?
Der Inhalt zeigt dann, daß die Kampagne nicht darauf zielt, sich mit "Deutschland" zu identifizieren und dafür einzusetzen. Die Definition von "Deutschland" wäre ohnehin schwierig. Ist damit die Landschaft, das Territorium gemeint? Gehören Österreich und Schweiz dazu? Nein, hier geht es klar um die BRD, einen imperialistischen Staat, welcher dem Profit einer schmarotzerischen Minderheit dient, Gesetze erläßt, welche immer breitere Schichten zu Armut und Zwangsarbeit verurteilen, ein immer dichteres flächendeckendes Überwachungsnetz aufbaut, Angriffskriege führt und anderer Nettigkeiten mehr. Aber mit "Du bist die BRD" würden sich wohl nicht so Viele dentifizieren.
Damit in engem Zusammenhang steht die Formulierung aus dem "Manifest" (was heute nicht Alles Manifest genannt wird): "Behandle dein Land doch einfach wie einen guten Freund. Meckere nicht über ihn, sondern biete ihm deine Hilfe an." Nun, gute Freunde pflegen mich üblicherweise nicht zugunsten Dritter über den Tisch zu ziehen. Das erinnert mich an eine Geschichte des utopischen Schriftstellers Stanislaw Lem, in der ein Kampfroboter unter Beteuerung von friedlichen Absichten und Freundschaft einen anderen umarmt und ihm unter fortwährendem Freundschaftsgesäusel die Innereien herausreißt.
Um die Verwirrung komplett zu machen, ist dann - ebenfalls im "Manifest" - plötzlich nicht mehr vom Land, sondern von Menschen die Rede. "Du bist 82 Millionen". "Frage Dich nicht, was die anderen für Dich tun. Du bist die anderen." Das ist nicht nur grammatischer und logischer Unsinn.
Damit soll den Menschen allen Ernstes eingeredet werden, die Groß- und vor Allem Finanzkapitalisten sowie deren Lakaien in Staat, Medien und Management säßen in einem Boot mit Kleinunternehmern, Selbständigen, beschäftigten und arbeitslosen Lohnarbeitern, Schülern, Studenten und Rentnern. Nun können aber die letztgenannten Gruppen ganz offensichtlich nicht erwarten, daß die Kapitalisten und deren Lakaien etwas für sie tun. Deshalb sollen diese Gruppen nicht nach deren Beitrag zur Gesellschaft fragen, sondern nur schön brav für sie weiterarbeiten und sich dabei noch mehr anstrengen.
Nicht zuletzt kennen wir das "Deutschland"-Geplapper schon aus der Geschichte. Die in den Werbespots vorkommenden Ausländer und Farbigen sollen ein wenig darüber hinwegtäuschen, daß hier eine von höchster Stelle (nämlich vom Großkapital) angeschobene Nationalismuskampagne läuft. Denn schließlich sind nur die "Deutschland", die etwas für "Deutschland", also die imperialistische BRD und die von ihr vertretenen Interessen des Großkapitals, tun.
Fehlt noch Teil 2 (der sicher vorerst nicht laut vertreten wird): Für Alle, die unproduktiv sind oder sich nicht mit den Zielen des imperialistischen Staates identifizieren und nicht den Interessen des Großkapitals dienen wollen, gilt: Du bist nicht Deutschland. Du gehörst nicht zu "uns". Du bist ein Schädling "unserer" Volksgemeinschaft.
Torsten Reichelt